
Patientenbegleitung
Seite an Seite
«Sie sehen toll aus, darf ich Ihnen das sagen?» Nora Weislogel sitzt im Wohnzimmer von Frau und Herrn Benz. Zum ersten Mal besucht die persönliche Patientenbegleiterin der CSS das Ehepaar Benz zu Hause in Affoltern am Albis. Das erste persönliche Treffen fand vor über einem halben Jahr in der Klinik statt, in der sich Frau Benz von einem Burn-out erholte. «Mir ging es miserabel», erinnert sich die 57-Jährige, «und ich hatte Angst, weil da jemand von der Krankenversicherung kam.» Sie lächelt. Die anfängliche Skepsis ist einer tiefen Dankbarkeit gewichen. Immer wieder betont Frau Benz an diesem Nachmittag, wie dankbar sie für die Unterstützung von Nora Weislogel sei. «Das alles ist ein riesiges Labyrinth für uns, und es ist wichtig, einen Anker wie sie zu haben.» Frau Benz kämpft nach wie vor mit Depressionen, ihr Ehemann leidet an Multipler Sklerose und hat vor einem Jahr die Diagnose Krebs erhalten. Solche Schicksale sind für die persönliche Patientenbegleiterin Teil ihres Arbeitsalltags.
Die Expertin
Nora Weislogel holt einen Riegel aus der Tasche, richtet sich auf und checkt ihre E-Mails. Sie steht am Pult ihres Arbeitsplatzes in Luzern. Für ein «richtiges» Znüni hat sie keine Zeit. Das passiere manchmal, sagt sie, isst ihren Riegel und setzt das Headset auf. Sie ruft die Sozialarbeiterin zurück, die sich wegen eines neuen Patienten gemeldet hat. Eigentlich ist Nora Weislogels Agenda voll, doch die persönliche Patientenbegleiterin verspricht am Telefon: «Wir finden bestimmt eine Lösung.»
Die Nachfrage nach Begleitung im Bereich Psychiatrie hat beim Care Management der CSS in den letzten drei Jahren stetig zugenommen. Heute machen psychische Erkrankungen wie Burn-out, Depression und Schizophrenie rund zehn Prozent aller Fälle aus (vgl. Box am Ende). Im Durchschnitt werden Betroffene nach ihrem Klinikaufenthalt sechs bis neun Monate von einem Care Manager wie Nora Weislogel begleitet. Die diplomierte Pflegefachfrau, die zuvor zehn Jahre in der psychiatrischen Pflege tätig war, kennt nicht nur sämtliche Diagnosen, sondern auch die Besonderheiten im Umgang mit Betroffenen. «In den allermeisten Fällen rufe ich meine Kundinnen und Kunden an, weil ihnen selbst der Antrieb fehlt.» Ein regelmässiger Austausch per Telefon, E-Mail oder in einem persönlichen Gespräch ist wichtig für die Begleitung. Nur so kann die 36-Jährige wirklich für ihre Kunden da sein. Allerdings setzt sie bewusst Grenzen: Ruft jemand zum Beispiel morgens um 6 Uhr an, geht sie nicht ran, sondern ruft zurück, sobald sie im Büro ist. Auch Ratschläge, wie jemand handeln soll, gibt die Patientenbegleiterin nie: «Das würde meine Kompetenzen überschreiten, ich bin keine Psychiaterin.»
Neben der persönlichen Begleitung geht es auch um die fachliche Unterstützung. So bespricht Nora Weislogel mit Kundinnen und Kunden unter anderem mögliche Therapieformen, prüft die Leistungsdeckung durch die Krankenversicherung, ruft bei den zuständigen Sozialämtern an und übernimmt andere administrative Aufgaben, mit denen die Betroffenen häufig überfordert sind. «Manchmal kämpfe ich regelrecht für meine Kunden – fast wie eine Anwältin», sagt die persönliche Patientenbegleiterin. Umso mehr stört es sie, wenn sie in gewissen Fällen an gesetzlichen Vorgaben scheitert.
Partnerschaftlich begleiten
Als bevorzugter Gesundheitspartner möchte die CSS Versicherung ihre Kundinnen und Kunden über den gesamten Gesundheitspfad hinweg eng begleiten. Das Care Management ist eine von mehreren Patientendienstleistungen, mit denen die CSS dieses Ziel aktiv verfolgt.
Die Zuhörerin
Das ist bei Frau Rohner, einer potenziellen neuen Kundin von Nora Weislogel, glücklicherweise nicht der Fall. Für das Erstkontaktgespräch fährt die persönliche Patientenbegleiterin nach Meilen. Hier, in der Privatklinik Hohenegg, ist Frau Rohner stationär in Behandlung. Von der zuständigen Sozialarbeiterin hat Nora Weislogel vorab nur wenige Informationen zum Gesundheitszustand der Patientin erhalten. «Für mich ist zu viel Vorbereitung auf das erste Gespräch ohnehin hinderlich», betont sie. «Ich schaue lieber den Ist-Zustand an und reagiere situativ.»
Frau Rohner ist offen für die Unterstützung durch die CSS. Zweifel hat sie beim Datenschutz. Geduldig erklärt ihr Nora Weislogel, dass sie erst nach unterzeichneter Einverständniserklärung durch die Patientin mit dem behandelnden Arzt sprechen darf und dass niemand von der Krankenversicherung das Patientendossier einsehen kann ausser dem Team der Persönlichen Patientenbegleitung. «Zudem informiere ich Sie immer über alle Schritte», versichert Nora Weislogel, ehe Frau Rohner ihre Geschichte erzählt. Im Herbst 2019 ist der 53-Jährigen zum dritten Mal innert zwei Jahren die Stelle gekündigt worden. Sie ist geschieden und hat einen 22-jährigen Sohn, der viel Cannabis konsumiert und ihr gegenüber manchmal aggressiv wird. «Ich konnte nicht mehr schlafen und hatte grosse Existenzängste», blickt Frau Rohner zurück. Nachdem sie sich zunächst ambulante Hilfe geholt hatte, wurde sie in die Privatklinik Hohenegg überwiesen.
Nora Weislogel hört aufmerksam zu, stellt Rückfragen und beantwortet ihrerseits die dringendsten Fragen. Transparenz ist bei ihrer Arbeit essenziell: «Ich versuche immer, von Beginn weg eine Vertrauensbasis zu schaffen; und das ist nur möglich, wenn meine Kunden und ich offen und ehrlich miteinander sind.» Das Gespräch dauert gut eine Stunde. Meistens ist beim Erstkontaktgespräch kein Vertreter der Klinik dabei. Häufig haben aber die Ärzte oder Sozialarbeiter den Betroffenen das Care Management im Vorfeld empfohlen. Mit Erfolg: In der Privatklinik Hohenegg entscheiden sich 80 bis 90 Prozent der Patienten auf Empfehlung hin für die externe Unterstützung nach ihrem Klinikaufenthalt. «Das Care Management ist eine Riesenchance für unsere Patientinnen und Patienten und eine Sicherung dessen, was wir hier erreicht haben», sagt Prof. Dr. med. Stefan Büchi, ärztlicher Direktor der Privatklinik Hoheneg
Die Begleiterin
Zurück im Haus des Ehepaars Benz in Affoltern. Frau Benz erzählt Nora Weislogel von den vergangenen Wochen. Fast täglich musste sie ihren krebskranken Mann zur Bestrahlung ins Spital bringen – eine grosse Belastung. «Ich habe auch mit mir zu kämpfen, aber muss immer funktionieren. Wer fängt mich wieder auf?» Sie schaut ihren Mann an. Er nickt, die Hände im Schoss gefaltet. Auch Nora Weislogel nickt verständnisvoll. Die persönliche Patientenbegleiterin nimmt sich Zeit, ist einfühlsam und ganz bei ihren Kunden. Das Gespräch ist intensiv, persönlich. Trotz der schwierigen Situation, in der sich das Ehepaar befindet, gibt es schöne und heitere Momente. Spricht Frau Benz von ihrer Tochter oder von der grossen Unterstützung durch die Spitex, beginnt sie sofort zu strahlen.
Solche Augenblicke sind für Nora Weislogel besonders wertvoll: «Zu sehen, wie die Betroffenen neuen Mut gewinnen und gestärkt aus einer Krise herausgehen, ist das vielleicht Schönste an meiner Arbeit.» Es ist diese Möglichkeit, Personen längerfristig zu begleiten und den Verlauf ihrer Genesung mitzuerleben, die Nora Weislogel vor knapp zwei Jahren überhaupt erst dazu bewogen hat, ins Care Management zu wechseln. Als Pflegefachfrau wusste sie früher nach dem Austritt ihrer Patienten selten, was aus ihnen wurde.
Heute ist das anders. Heute begleitet Nora Weislogel ihre Kundinnen und Kunden auf dem Weg zurück in den Alltag. Im neu eingerichteten Zimmer im ersten Stock lässt sie sich von Frau Benz deren selbst gemalte Bilder zeigen. Das Zimmer ist ihr Rückzugsort, ihr «ganz persönliches Reich». «Es war schwierig für mich, zu akzeptieren, dass mein Mann jeden Tag zu Hause ist», gesteht Frau Benz. Sie habe lernen müssen, sich zurückzuziehen und sich Zeit für sich zu nehmen. Sie nimmt eines der Spruchkärtchen, mit denen sie während des Klinikaufenthalts in der Psychotherapie gearbeitet hat. Jeden Morgen sucht sie sich spontan eines aus, ihr Tagesmotto. Auf dem heutigen steht: Lasst uns wieder miteinander reden. «Passend, oder?», sagt Frau Benz und lächelt.
Care Management
Seit bald 15 Jahren stellt die CSS Versicherung ihren Versicherten nach einem schweren Unfall oder einer Krankheit bei Bedarf kostenlos einen Care Manager zur Seite. Das Hauptziel der Persönlichen Patientenbegleitung ist, dass die Betroffenen ihr Leben wieder selbständig in die Hand nehmen können (Patienten-Empowerment). Auch die berufliche Wiedereingliederung hat einen hohen Stellenwert. Knapp 10 000 Fälle hat das Care Management bereits betreut, derzeit sind es 750 bis 800 Fälle pro Jahr – Tendenz steigend. Auch die Nachfrage im Bereich Psychiatrie nimmt zu: Gut zehn Prozent aller Fälle sind Betroffene von psychischen Krankheiten. Gemäss Henk-Jan Berg, Ressortleiter der Patientendienstleistungen der CSS, nehmen psychische Beschwerden einen grösseren Stellenwert im Gesundheitswesen und in der Kostenentwicklung ein. «Wir versuchen, ein stabiles ambulantes Netz für die Betroffenen zu schaffen, sodass es zu weniger Rückfällen kommt.» Die Persönliche Patientenbegleitung zählt zehn Mitarbeitende in der Deutschschweiz, zwei in der Romandie und einen im Tessin.